#WissensWerte: "Stiftungen müssen mit der Zeit gehen."
Georg Joachim Claussen im Gespräch mit Sarah-Isabel Conrad
Sarah-Isabel Conrad: Lieber Herr Claussen, was kommt Ihnen als allererstes in den Sinn, wenn Sie an die Stiftung denken?
Georg Joachim Claussen: Mut, Vertrauen und Miteinander. Diese Werte sind essenziell für die Stiftung und bilden ab, wofür sie steht.
Sarah-Isabel Conrad: Sie sind oft vor Ort und stehen in regelmäßigem, engem Austausch mit Professorin Regina Back, der Geschäftsführenden Vorständin: Wenn Sie Ihre Rolle betrachten, die Sie in der Stiftung als Vorstandsvorsitzender, aber auch in der täglichen Arbeit haben: Wie würden Sie sie beschreiben?
Georg Joachim Claussen: Das hat sich über die Jahre und mit bestimmten Meilensteinen stark verändert. Ungefähr in der Mitte meiner Amtszeit wurde die Stiftung von einer Treuhandstiftung in eine rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts umgewandelt. Das war Ende 2011. Erst dann hat sie in ihrer Arbeit so richtig Fahrt aufgenommen. In der ersten Phase wurden die Programme vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft e.V. verwaltet, ich fungierte dabei mehr als wohlwollender Begleiter. Mit der Umwandlung in eine operativ tätige Stiftung trat das unternehmerische Element in den Vordergrund. Ich habe die Stiftung immer als mittelständischen Betrieb betrachtet: Es geht um Geldanlagen. Es geht um das Angebot, das man in Form von Stipendien und Förderungen macht. Als operativ wirkende Stiftung wurde das ganze Konstrukt viel griffiger, das machte mir großen Spaß und bedeutete gleichzeitig, dass ich mich stärker einbringen musste. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine berufliche Tätigkeit im Beiersdorf-Konzern bereits beendet. Ich war selbstständig und dadurch viel flexibler, um auch das Ehrenamt in der Stiftung engagiert auszuüben. Diesen Vorteil hatte ich auch meinen Vorstandskollegen voraus, die noch stark im Berufsleben eingebunden waren.
Sarah-Isabel Conrad: 1999 gab es das Vermächtnis von Ebba Simon, der Cousine Ihres Vaters, der wiederum die Stiftung 1982 errichtet hatte. Damit ergaben sich für die Stiftungsarbeit noch einmal ganz neue Möglichkeiten.
Georg Joachim Claussen: Damit waren wir plötzlich zu groß für den Stifterverband, der das in diesem Umfang nicht abbilden konnte. Deshalb fiel dann die Entscheidung, die Stiftung operativ auf eigene Beine zu stellen und von einer Treuhandstiftung in die Selbstständigkeit zu führen. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen, wie eine operative Programmarbeit aussehen könnte, stand das Konzept der Bildungstreppe. Sie können diesen Gedanken immer noch in unserem Förderprofil finden.
Sarah-Isabel Conrad: Erinnern Sie sich noch, welche Erwartungen Sie damals daran hatten, wie sich die Stiftung entwickeln würde?
Georg Joachim Claussen: Der Wunsch war, das Stiftungsvermögen so zu entwickeln, dass es im Millionenbereich dreistellig wird, um durch die Erträge mit eigenen Förderprogrammen wirklich handlungsfähig zu werden. Wir haben dafür eine Satzungsänderung veranlasst, sodass wir auch das Thema Kultur mit in den Blick nehmen konnten und zusätzlich zum Wissenschaftsbereich, unserem Ursprung, sehr viel stärker auch in den Bildungsbereich gehen konnten. Wir haben damals mit einem ganz kleinen operativen Team angefangen, das waren drei Mitarbeitende.
Sarah-Isabel Conrad: Hat sich Ihre Leitlinie, wie Sie diese Stiftung begleiten und gestalten, im Zuge des Wachstums verändert?
Georg Joachim Claussen: Heute können wir die Strategie deutlich definieren. Aber 2009, als wir den Prozess begonnen haben, da hätte ich Ihnen diese nicht so klar ausformulieren können. Das war ein evolutionärer Prozess bis zu dem Punkt, wo wir die drei Förderbereiche fest etabliert hatten. Vor allem durch unsere Arbeit im Bereich Kunst & Kultur bekamen wir plötzlich eine viel größere Öffentlichkeit und Vernetzung. Dann haben wir auch angefangen, die Außendarstellung zu professionalisieren. Mittlerweile prüfen und diskutieren wir im Vorstand im Rahmen einer Klausurtagung jedes Jahr unsere strategische Ausrichtung. Das ist wichtig, um zeitgemäß zu bleiben. Wir kommen dabei immer wieder zu dem Ergebnis, dass wir unsere Schwerpunkte möglicherweise schärfen müssen, aber dass sie grundsätzlich stimmen. Weiterentwicklung heißt nicht unbedingt, immer mehr zu machen, sondern auch, das zu verfeinern, was man bereits macht. Wir waren immer in der glücklichen Situation, dass wir ausreichend Mittel zur Verfügung hatten, um unsere Fördermittel zu erhöhen und immer wieder neue Programme zu entwickeln. Das ist natürlich eine tolle Ausgangslage. Wir konnten über die Jahre unser Stiftungskapital vermehren und dadurch mehr machen und stärkere Akzente setzen.
"Wenn der Stifterwille nicht interpretiert wird, dann entwickeln sich Stiftungen nicht."
Sarah-Isabel Conrad: Es geht ja am Ende immer auch darum, dem Stifterwillen gerecht zu werden. Das ist, gerade mit wachsendem zeitlichem Abstand zur Errichtung der Stiftung, sicher nicht immer einfach abzuwägen. Der ursprüngliche Stiftungszweck war recht begrenzt auf die Förderung wissenschaftlich und technisch begabter junger Menschen. Aber um langfristig wirksam sein zu können, muss man das weiterentwickeln. Wie sind Sie gemeinsam mit den Vorstandskolleg:innen dieser Aufgabe begegnet?
Georg Joachim Claussen: Der Stifterwille ist so eine Sache. Elemente des Stifterwillens finden sich in der Satzung, im Wesentlichen in der Präambel, aber welche Gedanken und Motive den Stifter wirklich bewegt haben, das ist nicht erhalten. Mit meinem Sohn Johann ist nun weiterhin eine Generation im Vorstand vertreten, die den Stifter noch gekannt hat. Aber je weiter die Zeit voranschreitet, desto weiter wird der Stifterwille in den Hintergrund treten und durch die Satzung ersetzt. Ich denke, dass das völlig in Ordnung ist, denn der Stifterwille ist eine punktuelle Betrachtung. Mein Vater hat die Stiftung ja noch lange begleitet, auch die Umwidmung in die Rechtsfähigkeit befürwortet, inklusive der Ausdifferenzierung in die drei Bereiche Wissenschaft, Bildung, Kultur. Die angepasste Satzung und das Stiftungsgeschäft hat er noch persönlich unterschrieben. Damals konnten wir sicher sein, dass er das genau so gewollt hat.
Sarah-Isabel Conrad: Was hat den Stifter bei der Errichtung der Stiftung bewegt?
Georg Joachim Claussen: Sein Motiv war, in Deutschland Wissenschaft und Forschung zu fördern und den Standort für junge Wissenschaftler:innen attraktiv zu halten, so dass sie hier ihre Karriere beginnen und auch fortsetzen. Da er damals noch voll im Berufsleben stand, hat er die Stiftung in die Hände des Stifterverbands gelegt. Mein Vater war immer, in allem, was er tat und wie er sein Leben gestaltete, sehr der Zukunft zugewandt. Deswegen fühle ich eine große Sicherheit, dass wir in seinem Sinne handeln, wenn wir auch die Stiftung inhaltlich stets weiterentwickelt haben und Zukunftsthemen und aktuelle Bedarfe aufgegriffen haben. Wenn der Stifterwille nicht interpretiert wird, dann entwickeln sich Stiftungen nicht. Stiftungen müssen mit der Zeit gehen.
Sarah-Isabel Conrad: Spielt also in Ihren Überlegungen und Diskussionen im Vorstand immer eine Rolle, welche Werte dem Stifter wichtig waren und wie sie auf die Weiterentwicklung der Stiftung einzahlen?
Georg Joachim Claussen: Das ist ein ganz wesentliches Anliegen. Und da sind wir auch wieder beim Miteinander. Sowie bei Mut und Vertrauen, diesen Grundwerten, die gesamtgesellschaftlich immer wichtiger werden, aber in der heutigen Zeit stark unter Druck sind. Wenn es uns gelingen soll, die Gesellschaft zusammenzuhalten, dann sind es genau diese Werte, die das bewirken. Das ist in meinen Augen auch ein Vermächtnis des Stifters, bei dem ich weiß, dass er das hundertprozentig mittragen würde. Er war ein mutiger Mann und ein Menschenfreund, er war voller Vertrauen. Er ist aufgestanden für seine Sache.
Sarah-Isabel Conrad: Beim Thema Generationen würde ich gern noch etwas bleiben. Warum denken Sie, ist es wichtig, dass auch weiterhin die Familie im Vorstand vertreten ist?
Georg Joachim Claussen: Ich halte es nicht für eine absolute Notwendigkeit. Und es wäre auch vermessen zu glauben, dass das immer so sein wird. Aber mit Johann haben wir jemanden, der sehr gut geeignet ist, unter anderem aufgrund seiner Expertise in der Personal- und Organisationsentwicklung. Er hat beruflich jeden Tag mit jungen Menschen zu tun. Klar ist aber auch: Es reicht nicht aus, Claussen zu heißen. Wir haben gerade die Wahlordnung angepasst, damit sichergestellt ist, dass Familienmitglieder die gleiche Qualifikation mitbringen müssen wie unabhängige Dritte. Sie müssen sich denselben Ansprüchen stellen wie die anderen.
"Mit jungen Leuten in den Diskurs zu gehen, ist unglaublich bereichernd."
Sarah-Isabel Conrad: Es freut Sie sicher, dass die nächste Generation sich ebenfalls mit der Stiftung identifiziert und sich engagiert. Ihr ältester Sohn Max ist bereits seit vielen Jahren Mitglied im Stiftungsrat. Johann ist seit zwei Jahren im Vorstand und folgt nun Ihnen als Vorsitzender. Vorstand, Team, Community – da haben wir eine große Altersspanne. Wie haben Sie den transgenerationalen Austausch erlebt? Warum glauben Sie, dass es so wertvoll ist, dass die Generationen sich begegnen?
Georg Joachim Claussen: Die Spannbreite zwischen den jüngsten Geförderten und uns im Vorstand beträgt an die 60 Jahre, das ist enorm. Das hält mich natürlich nah dran an gewissen Diskursen und Lebenswelten, das schätze ich sehr. Man muss sich mit den Themen des Tages und der Zeit immer wieder auseinandersetzen. Ich denke, das Schlimmste, was Menschen passieren kann, ist, dass sie sich abkoppeln von der Gesellschaft. Mit jungen Leuten in den Diskurs zu gehen, ist unglaublich bereichernd, bricht Denkgewohnheiten auf, eröffnet neue Perspektiven für alle.
Sarah-Isabel Conrad: Was können die Geförderten Ihrer Meinung nach aus dieser transgenerationalen, diversen Gemeinschaft mitnehmen? Auch zwischen den Förderprogrammen sind die Altersunterschiede ja sehr groß, teilweise zehn, zwanzig Jahre. Erst recht mit Blick auf die Alumni:ae.
Georg Joachim Claussen: Eine Dimension dabei ist der Tellerrand, über den wir auf diese Weise immer wieder schauen und Einblick in unterschiedliche Disziplinen und Altersgruppen erhalten. Die Älteren haben einen gewissen Erfahrungshorizont, den die Jüngeren noch gar nicht haben können. Gleichzeitig kommen diese aber mit neuen Ideen, wofür die Älteren offen sein müssen. Das Schlimmste ist ja, wenn man verharrt und erstarrt in seinen Positionen, dann passiert nichts mehr. Deswegen ist dieser Dialog so wichtig. Die ältere Generation darf sich nicht auf die eigenen Erfahrungen als Non-Plus-Ultra berufen, man sollte daran zurückdenken, wie man selbst als Zwanzigjähriger gedacht und gehandelt hat, sich hineinversetzen in diese Lebenssituation und nicht nur aus dem Rückblick Weisheiten ableiten. Das hat auch den Stifter besonders ausgezeichnet. Er ist fast 101 Jahre alt geworden und hat sich immer mit jüngeren Leuten umgeben. Seine Enkel haben den Großvater sehr geliebt und geschätzt, er hatte immer ein offenes Haus für sie und begleitete sie mit Rat und Ideen.
"Das sind Sternstunden."
Sarah-Isabel Conrad: Welche Aspekte waren für Sie besonders prägend in dem, wie Sie die Stiftung, die Community, die operative Arbeit erlebt haben?
Georg Joachim Claussen: Dazu zählen natürlich die regelmäßigen Gespräche im Vorstand insgesamt, aber vor allem mit Regina Back als Geschäftsführender Vorständin. Und dann der Austausch mit den Geförderten auf dem Stipendiat:innentreffen, wo wir Zeit und einen tollen Rahmen haben für so etwas. Diese Begegnungen mit jungen Menschen, die für ihre Themen brennen und dabei sind, ihren Weg zu gestalten, das sind tolle Erfahrungen. Der Austausch zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der Stiftung. Das beste Beispiel ist das Stipendiat:innentreffen, wenn eine heterogene Truppe von 100 jungen Leuten dort zusammenkommt, aus allen Bereichen, und dann großartige Gespräche entstehen in Konstellationen, die sonst nicht möglich wären. Wenn Einzelne, die sich zwar mutig, aber ganz befangen in diese Situation begeben, plötzlich aufblühen und ganz viel geben und mitnehmen. Das sind Sternstunden.
Sarah-Isabel Conrad: Stichwort Befangenheit: Es würde mich interessieren, wie Sie das erlebt haben. Gerade bei den Jüngeren oder auch jenen, die noch nicht so viele Berührungspunkte mit Stiftungen oder der Academia hatten. Es ist für viele ein großer Schritt, sich überhaupt für ein Stipendium zu bewerben. Wie kann man als Institution Stiftung nahbar sein, auch für die Personen, die uns noch nicht kennen, die erst mal nur im Bewerbungsstatus sind?
Georg Joachim Claussen: Eine gewisse Befangenheit, die kennt jeder von uns. Meine Erfahrung ist: Man nähert sich, indem man sich selbst treu bleibt. Dann spürt man nämlich schnell, dass man selbst etwas zu bieten hat.
Sarah-Isabel Conrad: Als Stiftung ist man aber dennoch – auf institutioneller Ebene – in einer Art Machtposition.
Georg Joachim Claussen: Deswegen ist es wichtig, das Gefälle so klein wie möglich zu halten und zu verinnerlichen, dass es ein Geben und Nehmen ist. Auch wir als Organisation und als Mitglieder dieser Organisation gewinnen ganz viel. Wir haben nicht nur etwas zu geben – finanzielle Unterstützung, ideelle Förderung –, sondern erhalten ganz viel zurück aus der Community. Neue Perspektiven, Inspiration, menschliche Begegnungen. Ich verstehe es eigentlich nicht als Machtposition, sondern als eine sehr glückliche Lage, aus der wir als Stiftung agieren können: andere Menschen zu unterstützen.
"Eine ganz große Hin- und Zuwendung."
Sarah-Isabel Conrad: Diese Gedanken bewegen uns als Team auch in der operativen Arbeit. Wie kommunizieren wir und wie präsentieren wir uns, damit der erste Schritt, sich zu bewerben, leichtfällt und alle sich willkommen fühlen? Da fließt sehr viel Kraft rein, das so einladend und niedrigschwellig wie möglich zu gestalten. Glücklicherweise spiegeln uns viele Bewerber:innen zurück, dass das gut zu gelingen scheint. Losgelöst von diesem, meinem operativen Blick: Wie lösen wir das aus Ihrer etwas übergeordneten Sicht konkret ein?
Georg Joachim Claussen: Da ist eine ganz große Hin- und Zuwendung. Das persönliche Element spielt in der Claussen-Simon-Stiftung eine riesige Rolle. Im Mittelpunkt steht immer, sich auf Augenhöhe zu begegnen, völlig unabhängig von anderen Faktoren. Das geschieht unter hohem persönlichem Einsatz aller Teamkolleginnen und -kollegen, das ist eine ganz große Auszeichnung, das finden Sie woanders nicht. Wir machen uns die Gestaltung der Förderungen und die Auswahlprozesse nicht leicht, das ist sehr aufwändig und intensiv. In der Begleitung der Stipendiat:innen und der Community-Arbeit setzt sich das fort. Die Kombination von materieller und ideeller Förderung ist meiner Ansicht und Erfahrung nach hochwichtig, und für viele ist häufig die ideelle Förderung fast wichtiger, auch nachhaltiger, als die materielle.
Sarah-Isabel Conrad: Glauben Sie, dass die Stipendiat:innen selbst einen Einfluss haben auf die Weiterentwicklung der Stiftungsarbeit? Die Community wird immer größer, immer vielfältiger, und, aus meiner Sicht als Teammitglied gesprochen, ist damit eigentlich eine wechselseitige Dynamik entstanden. Glauben Sie, dass man das so sagen kann?
Georg Joachim Claussen: Indirekt ganz bestimmt! Auch wir erhalten ja Impulse und entdecken neue Themen dank unserer Geförderten. Ich denke, da könnte man sogar noch mehr machen. Als eine Art Forum oder Sounding Board. Das ist kein Instrument für den alltäglichen Betrieb, aber in größeren zeitlichen Abständen wäre es sicher interessant und gewinnbringend, mit einer Auswahl von ehemaligen und aktiven Geförderten in den konkreten Austausch zu gehen und gemeinsam auf Wirkung und Weiterentwicklung zu schauen.
Sarah-Isabel Conrad: Das würde sicher sehr wertgeschätzt werden, auch wenn bestimmt nicht alle Erwartungen im Nachhinein auch erfüllt werden könnten.
Georg Joachim Claussen: Wir können natürlich nicht alles abdecken. Es wird immer Limitierungen geben. Aber als demokratischer Diskurs ist das sehr wertvoll. Indem wir die Geförderten der verschiedenen Jahrgänge, Förderprogramme und Disziplinen in unterschiedlichsten Formaten immer wieder zusammenbringen, lösen wir das in gewisser Weise bereits sehr erfolgreich ein. Ein Sounding Board wäre eine Steigerung dessen.
"Gemeinsam lässt sich bei vielen Themen mehr erreichen."
Sarah-Isabel Conrad: Wie stehen Sie zu einem solchen Austausch zwischen verschiedenen Stiftungen?
Georg Joachim Claussen: In Hamburg gibt es schon sehr lange den Initiativkreis Hamburger Stiftungen, in dem sich einige der großen Stiftungen regelmäßig informell austauschen. Das war vor gut zehn Jahren noch ein ganz neues Format. In einem größeren Rahmen tut mittlerweile das Hamburger Stiftungsbüro sehr viel dafür, dass zum einen die Öffentlichkeit mehr über Stiftungsarbeit erfährt, aber auch, dass die Stiftungen sich untereinander vernetzen, voneinander lernen können, Kooperationen schmieden. Das ist mitunter herausfordernd. Hamburg hat mehr als 1.500 Stiftungen unterschiedlichster Größe und Organisationsstruktur. Ich wünsche mir eigentlich, dass das noch in einem viel stärkeren Maße gelebt wird, der kollegiale Austausch und auch die konkrete Zusammenarbeit. Da hat sich viel entwickelt, aber da geht auch noch viel mehr. Gemeinsam lässt sich bei vielen Themen einfach mehr erreichen, wenn Mittel, Netzwerke und Kompetenzen zusammengebracht werden.
Sarah-Isabel Conrad: Teilweise wird von außen etwas skeptisch beäugt, dass Stiftungen keine demokratisch kontrollierten Organisationen sind. Warum sind Stiftungen Ihrer Ansicht nach wichtig? Welche Aufgaben können oder sollten sie überhaupt übernehmen? Oder welche eben auch gerade nicht?
Georg Joachim Claussen: Ich halte Stiftungen grundsätzlich für wichtig in unserer Gesellschaft, weil es ein gewisses Gegengewicht geben muss zu dem, was wir an gesellschaftlicher und sozialer Tätigkeit vom Staat verlangen. Stiftungen insgesamt haben niemals die Mittel, um diese Aufgaben zu erfüllen, aber um doch aufzuzeigen, wo es Lücken und Handlungsbedarfe gibt. Sich dort einbringen und damit etwas anstoßen, das können Stiftungen durchaus leisten.
"Die Politik hat in der gemeinnützigen Stiftung nichts zu suchen. Demokratie sehr wohl."
Sarah-Isabel Conrad: Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Stiftungsformen.
Georg Joachim Claussen: Es ist wichtig, dass das noch klarer gemacht wird. Zwischen den sogenannten Familienstiftungen und den rechtsfähigen Stiftungen, wie wir das als gemeinnützige Stiftung sind und Kapitalerträge ausschließlich für das Gemeinwohl einsetzen, bestehen große Unterschiede. Wir unterliegen der Stiftungsaufsicht. Ich glaube, dass Stiftungen eine gesellschaftliche, auch regulative, Aufgabe haben – aber nicht für alles. Stiftungen müssen unabhängig sein. Das halte ich für sehr wichtig. Die Politik hat in der gemeinnützigen Stiftung nichts zu suchen. Demokratie sehr wohl. Aber Parteipolitik ist – außer für die politischen Stiftungen – ein No-Go. Hoheitliche Aufgaben sind vom Staat und nicht von Stiftungen zu regeln.
Sarah-Isabel Conrad: Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, dass Sie sich zurückziehen aus Ihrer aktiven Rolle?
Georg Joachim Claussen: Es ist sinnvoll, dass sich der Vorstand nach so vielen Jahren neu formiert hat, und wir sind jetzt sehr gut aufgestellt. Astrid Zielke ist unsere juristische Expertin. Hans Cornehl bringt insbesondere im Finanz- und Anlagebereich wichtige Kompetenzen ein, und mein Sohn Johann als Nachkomme des Stifters und Vertreter der jüngeren Generation kennt sich in den Themen HR und Persönlichkeitsentwicklung sehr gut aus. Mit Regina Back haben wir eine wunderbare Geschäftsführende Vorständin, die mit Umsicht und Erfahrung das operative Wirken verantwortet. Ich glaube, das ist ein guter Cut-off-Point für mich.
Sarah-Isabel Conrad: Mit dem zurzeit laufenden Umbau und der Erweiterung und Neugestaltung der Büro- und Veranstaltungsflächen verändert sich in der Stiftung äußerlich gerade viel. Auch auf die Arbeitsabläufe wird sich das auswirken sowie auf unsere Angebote. Welchen Einfluss auf den Spirit der Stiftung erwarten Sie sich?
Georg Joachim Claussen: Ich freue mich, dass wir die Möglichkeiten der Stiftung damit für die Mitarbeitenden und unser Veranstaltungsangebot erweitern. Das wird sehr modern und zukunftsweisend, und es wird für die Teams das Arbeiten einfacher machen. Die Stiftung ist in jeder Hinsicht sehr gewachsen: Was das Team angeht, die Themen, die Zielgruppen, die Programme, und das manifestiert sich nun auch räumlich.
Sarah-Isabel Conrad: Was geben Sie der Stiftung mit auf den Weg?
Georg Joachim Claussen: Ich glaube, dass es sehr gut wäre, wenn der evolutionäre Strategieprozess der letzten Jahre weitergeht. Weiterentwicklung ja, aber auch Kontinuität und eine klare Fokussierung auf das, was wir gut können und gut machen. Wir tun das in exzellenter Weise. Die Stiftung befindet sich auf einem ganz tollen Weg. Darauf bin ich sehr stolz, für uns alle, denn das kann man nur mit einem Team meistern. Das hat immer große Freude gemacht!
Sarah-Isabel Conrad: Was werden Sie besonders vermissen?
Georg Joachim Claussen: Alles!
Sarah-Isabel Conrad: Sie werden weiterhin Ihr Büro hier haben und auch durch Ihren Sohn Johann nah dran sein am Geschehen.
Georg Joachim Claussen: Der tägliche Austausch wird mir sehr fehlen, er gehörte zu meinem Alltag, wenn ich vor Ort in der Stiftung bin, dazu. Es gibt zum Glück noch ein paar andere Sachen, die ich gerne mache. Ich engagiere mich auch in zwei anderen Stiftungen, da werde ich mich jetzt noch stärker einbringen. Insofern wird es nicht langweilig werden. Ich gehe also mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Sarah-Isabel Conrad: Wir freuen uns sehr, dass Sie der Stiftung als Ehrenvorsitzender und uns als wohlwollender Begleiter erhalten bleiben werden. Für das Team und die Community ist es sehr wertvoll, dass Sie immer so nah dran gewesen sind, sich eingebracht haben, das war immer etwas ganz Besonderes.
Georg Joachim Claussen: Das hat sich so ergeben, und ich habe es aus Überzeugung und mit Leidenschaft getan. Es hat immer großen Spaß gemacht!
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