Unterstützung und Vernetzung afghanischer Frauen in Deutschland: Ein Zusammenkommen in Berlin
Lea Holst, Alumna Master Plus
Seit dem Machtwechsel in Afghanistan im Sommer 2021 hat sich die Lage für viele Afghan:innen dramatisch verschlechtert. Besonders Frauen und Mädchen stehen unter ständiger Bedrohung durch die rigiden Tugendgesetze der Taliban, die darauf abzielen, sie vollständig aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Seit Sommer 2024 ist ihnen auch das Singen, Reimen und Rezitieren in der Öffentlichkeit verboten. Die Menschenrechtslage ist alarmierend und für zahlreiche ehemalige Ortskräfte und politische Aktivist:innen, die für internationale Organisationen tätig waren, bleibt die Flucht ins Ausland oft die einzige Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen. In Deutschland versuchen viele dieser Geflüchteten, Fuß zu fassen und sich ein neues Leben aufzubauen. Um dies zu unterstützen, hat sich die Arbeitsgruppe (AG) zu Afghanistan innerhalb der International League for Peace and Freedom (WILPF) gebildet, eine der ältesten Frauenfriedensorganisationen der Welt – in großen Teilen ehrenamtlich organisiert.
Die Rolle der AG Afghanistan: Netzwerken und Unterstützen
Die AG Afghanistan der WILPF versteht sich als Plattform, die afghanische Frauen in der Diaspora vernetzt, ihnen Raum zum Austausch bietet und sie in ihrer politischen Arbeit unterstützt. Über regelmäßige Treffen und Veranstaltungen werden die spezifischen Herausforderungen von Geflüchteten sichtbar gemacht. Die AG Afghanistan sensibilisiert die deutsche Öffentlichkeit für die Situation in Afghanistan und die Bedürfnisse von afghanischen Geflüchteten und entwickelt darüber hinaus auch konkrete Politikempfehlungen.
Im September 2024 ermöglichte eine Förderung der Claussen-Simon-Stiftung im Rahmen von "Mach den Unterschied!" drei Mitgliedern der Arbeitsgruppe – Nazia, Halima und Aasia – ein persönliches Treffen mit einigen unserer Mitglieder in Berlin. Diese Begegnung bot den Frauen die Möglichkeit, ihre Netzwerke innerhalb der afghanischen Diaspora und der deutschen NGO-Landschaft auszubauen und sich über ihre Erlebnisse und Herausforderungen auszutauschen.
Ankommen in Deutschland: Ein fortlaufender Prozess
Für geflüchtete Menschen ist die Ankunft in Deutschland in der Regel ein langwieriger und anspruchsvoller Prozess. Neben der existenziellen Notwendigkeit, in Sicherheit zu sein, ist ein neuer Ort auch geprägt von der Suche nach einem neuen sozialen und beruflichen Umfeld. „Für viele ist Ankommen mehr als nur ein physischer Ort. Es umfasst den Aufbau von sozialen Netzwerken, den Zugang zu beruflichen Möglichkeiten und das Schaffen eines Sicherheitsgefühls im neuen Umfeld“, beschreibt Aasia, eine der Teilnehmerinnen des Treffens.
Um diesen Integrationsprozess zu reflektieren und sich politisch mit anderen Organisationen in Deutschland zu vernetzen, haben wir gemeinsam eine Abendveranstaltung des Verbands afghanischer Organisationen in Deutschland (VAFO) besucht, welche Raum schuf für den Austausch zwischen afghanischen und deutschen Expert:innen und den Teilnehmer:innen. Für Halima war die Veranstaltung besonders wertvoll: „Das Wichtigste war für mich, die verschiedenen Organisationen und deren Mitarbeitende zu sehen. Ich habe neue Verbindungen geknüpft, was hier in Deutschland sehr hilfreich für mich ist.“
Teilnahme am Ortskräftekongress: Ein gemeinsames Zeichen für Menschenrechte
Am nächsten Tag haben wir den dritten Ortskräftekongress der Evangelischen Akademie zu Berlin besucht, der unter dem Motto „Mehr als ein Versprechen – Menschenrechte verteidigen, Ortskräfte schützen“ stand. Zwei Jahre nach der Machtübernahme durch die Taliban sind noch immer viele ehemalige Ortskräfte gefährdet und nicht in Sicherheit. Die Veranstaltung machte deutlich, dass es weiterhin eines großen Engagements bedarf, um diesen Menschen Schutz zu bieten.
Für die Frauen war die Teilnahme am Ortskräftekongress eine bereichernde Erfahrung, die ihnen Einblicke in die Dynamiken und Bedürfnisse der afghanischen Community in Deutschland ermöglichte. Aasia betonte: „Der Ortskräftekongress gab uns weitere Einblicke in die Dynamiken der Community und die Bedeutung von Unterstützungssystemen für Neuankömmlinge.“
Den Blick nach vorne richten: Perspektiven für die afghanische Diaspora
Die Arbeit der AG Afghanistan wird auch nach dem Treffen in Berlin fortgesetzt. Der regelmäßige Austausch mit den Frauen hat in den vergangenen Monaten zu Plänen geführt, um gemeinsam mit Nazia, Halima und Aasia auch auf europäischer Ebene ihre Stimmen zu stärken. Geplant sind unter anderem Beiträge zum Thema Afghanistan bei einem Treffen der europäischen Ländersektionen der WILPF und innerhalb des Young-WILPF-Netzwerks.
Für die Frauen ist es von zentraler Bedeutung, die deutsche und europäische Öffentlichkeit weiterhin über die Lage in Afghanistan zu informieren. Die mediale Aufmerksamkeit hat zwar nachgelassen, doch die Herausforderungen für Afghan:innen, die für internationale Organisationen gearbeitet haben und in ihrer Heimat verfolgt werden, sind nach wie vor gravierend. Wie Nazia treffend formulierte, sei die Rückführung von Menschen nach Afghanistan ein schwerwiegendes Versagen: „Wenn Menschen zurückgeschickt werden, erwartet sie nicht Freiheit. Sie werden von den Taliban empfangen und müssen sich dem brutalen Regime unterwerfen oder sterben. Diejenigen, die überleben, entwickeln einen unermesslichen Hass auf Deutschland – das Land, das sie zurück in die Hölle schickte. Im schlimmsten Fall erleben wir die Folgen in Form von Terrorismus.“
Ein Zeichen der Wertschätzung
Für die ehrenamtlichen Mitglieder der WILPF wie mich ist das Kennenlernen und Unterstützen der afghanischen Frauen, die nach Deutschland geflüchtet sind, eine stetig bereichernde Aufgabe. Die Zusammenarbeit und das gegenseitige Vertrauen schaffen eine Grundlage, um auch in Zukunft politische Forderungen zu stellen und das Bewusstsein für die Situation der afghanischen Community in Deutschland und Afghanistan zu schärfen. Die Möglichkeit, die Stimmen dieser starken und mutigen Frauen hörbar zu machen und ihre Netzwerke zu erweitern, ist für alle Beteiligten von großer Bedeutung.
Mit dieser Reise nach Berlin konnte die AG Afghanistan einen Beitrag zur Stärkung der afghanischen Diaspora und insbesondere für die ihr angehörenden Frauen leisten und ein Zeichen der Solidarität und Menschlichkeit setzen. Die Arbeit geht weiter – für eine Zukunft, in der Frauen in Afghanistan und in der Diaspora frei und in Sicherheit leben können.
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